Am 27. Juli 2012 wurde in dem Amtsblatt der Europäischen Union die Verordnung Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und der Rates vom 4. Juli 2012 veröffentlicht. Die Verordnung befasst sich unter anderem mit der Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsbeschlüssen in Erbsachen und mit dem in Erbsachen anwendbaren Recht im Falle der Kollision mehrerer Rechtsordnungen.
Die Verordnung wird laut § 84 i. V. m. § 83,1 ab dem 17. August 2015 für Nachlasssachen von Personen, die an diesem Tag oder ab diesem Tag sterben, angewendet und könnte eine große Tragweite bei Nachlassen deutscher Staatsbürger mit Eigentum in Spanien entfalten.
Bis zum 17. August 2015 werden die Erbschaften deutscher Staatsbürger in Spanien nach wie vor mit Hilfe des von den deutschen Amtsgerichten ausgestellten Erbscheins abgewickelt, die in Spanien problemlos anerkannt werden. Die spanische und die deutsche Rechtsordnung stimmen bislang überein, dass das Gesetz der Staatsangehörigkeit des Erblassers die Erbfälle regelt, d.h. die spanischen Behörden erkennen an, dass das deutsche Recht die Erbschaft eines deutschen Staatsbürgers regelt, auch wenn sich sein Vermögen in Spanien befindet. Von einigen leicht zu erfüllenden Formalitäten abgesehen akzeptieren die spanischen Behörden als Erben der sich in Spanien befindlichen Nachlassmasse eines deutschen Staatsbürgers die im deutschen Erbschein als solche Erben ausgewiesenen Personen.
Nun hat die Europäische Union diese einfache Ordnung auf den Kopf gestellt und in der Verordnung Nr. 650/2012 festgehalten, dass die Erbschaft eines Erblassers von dem Recht des Staates geregelt wird, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das heißt praktisch betrachtet, dass die Erbschaft eines deutschen Staatsbürgers, der sich in Spanien niedergelassen hat, dem spanischen Erbrecht unterliegt, ein Recht, das dem Erblasser und seinen Erben womöglich völlig fremd ist.
Welche Probleme kann eine derartige Regelung verursachen, welche Wirkung wird diese Regelung überhaupt hervorrufen?
Die Europäische Union scheint zu ignorieren, dass eine hohe Anzahl von in Spanien lebenden deutschen Staatsbürgern ihren gewöhnlichen Aufenthalt offiziell in Deutschland hat, auch wenn sie in der Tat mehr Zeit in Spanien als in Deutschland verbringen. Das lässt darauf schließen, dass die von der Verordnung festgehaltene Regelung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht so oft zum Tragen kommen wird.
Da Spanien ein Staat ist, in dem mehrere Zivilrechtsordnungen existieren, kommt das zusätzliche Problem für den Nachlass eines deutschen Staatsbürgers mit offiziell anerkanntem ständigen Wohnsitz in Spanien hinzu, dass je nach Wohnsitz nicht das allgemeine spanische Zivilrecht, sondern das Zivilrecht der Autonomen Region, in der der Erblasser seinen Wohnsitz hat, Anwendung findet. Autonome Regionen wie Katalonien und die Balearen haben ein eigenes Erbrecht, also kann es durchaus vorkommen, dass der Nachlass eines deutschen Staatsbürgers in Spanien dem katalanischen oder dem balearischen Recht unterliegt.
Welche praktische Bedeutung kann die Anwendung des einen oder des anderen Zivilrechts haben? Als Beispiel können wir erwähnen, dass während das allgemeine spanische Zivilrecht einen Pflichtteil für die Nachfahren von 2/3 der Nachlassmasse vorsieht, der Pflichtteil des katalanischen Erbrechts für die Nachfahren nur ¼ der Nachlassmasse beträgt.
Die Verordnung Nr. 650/2012 bietet dem Erblasser allerdings die Möglichkeit, für die Regelung seines Nachlasses das Recht seiner Staatsangehörigkeit zu wählen. Diese Wahl ist dennoch mit der Erfüllung einiger Bedingungen seitens des Erblassers verbunden.
Nach meiner Meinung stellt die Verordnung Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und der Rates vom 4. Juli 2012 einer kaum zu rechtfertigen Verkomplizierung der erbrechtlichen Lage in dem deutsch-spanischen Raum dar. Wir werden ab August 2015 sehen, ob ich mit dieser Aussage Recht behalte.